Es muss mittlerweile ca. 15-20 Jahre her sein. Ich, mitten in der Pubertät, mein Gaumen kulinarisch noch ziemlich unterentwickelt.
Essen gehen ohne Anlass?
Mittagessen im Restaurant, unter der Woche, ohne besonderen Anlass? Das kam normalerweise nie vor und ist vielleicht auch ein Grund dafür, wieso mir dieser Restaurantbesuch noch so erstaunlich gut in Erinnerung ist. Was der wirkliche Grund war und ob es überhaupt einen gegeben hat, kann ich heute nicht mehr sagen. Wahrscheinlich war es ein Wochentag. Mein Papa war arbeiten und meine Mama schlug überraschend vor, mit mir zum Mittagessen ins Dolomiti, die kleine italienische Nichtraucher-Pizzeria, zu gehen. Dort bestellten wir häufiger unsere Pizza und Pasta und holten diese auch ab (Einen Lieferservice gab es dort damals nicht und gibt es bis heute nicht, dennoch nehmen viele den Weg in Kauf, um sich dort die Speisen abzuholen). Alleine das Wort Nichtraucher-Pizzeria klingt heute so nostalgisch wie Trabbi oder D-Mark. Gennaro, der Wirt des Dolomiti, hatte aber wohl vor über 30 Jahren schon das richtige Gespür dafür in seiner Pizzeria das Rauchen zu verbieten, auch wenn ihm das mit Sicherheit den ein oder anderen Kunden gekostet haben mag.
Dieser eine Restaurantbesuch alleine mit meiner Mama an einem beliebigen Wochentag, hat mir eine kulinarische Welt eröffnet, die ich bis dato stets mit dem Brustton der Überzeugung, gerümpfter Nase und energischem Kopfschütteln abgelehnt hatte.
Miesmuscheln
Diese kleinen glibberigen und schleimigen Dinger in ihren unhandlichen und für den Massenverzehr ungeeigneten Schalen, die nach Seegras und Meerwasser schmecken. Das war nichts für mich, davon war ich ohne sie je probiert zu haben, felsenfest überzeugt. Vor allem nicht wenn man in einem Restaurant war, in dem man die Wahl zwischen zahlreichen Pizzen und Nudelgerichten hatte, von denen eines leckerer als das andere schmeckt und bei Gennaro ist das wirklich der Fall. Ob es ein ausgeklügelter, elterlicher Psychotrick war, auf den ich hereingefallen bin oder ob ich dann doch einfach nur neugierig war, weiß ich auch nicht mehr. Ich weiß aber noch, dass die Muscheln nur für zwei Personen zubereitet wurden und ich, als die riesige dampfende Schüssel Miesmuscheln in Tomatensud serviert wurde, ziemlich hungrig und skeptisch war.
Offenbarung
Ja, ja, ich weiß. Nach dem Genuss eines einzelnen Gerichts von einer Offenbarung zu sprechen, klingt erstmal ziemlich theatralisch, aber im Endeffekt war dieses unglaublich leckere Essen genau das für mich. Eine kulinarische Offenbarung. Davon abgesehen, dass ich nie gedacht hätte von etwas Brot und ein paar Muscheln satt zu werden, sind Miesmuscheln in Weißwein-Tomatensud bis heute eine meiner Lieblingsspeisen, die ich mir vor allem im Sommer auf der Terasse mit einem guten Glas Pinot Grigio regelmäßig schmecken lasse.
Muscheln in Monaten ohne R essen?
Um gleich noch mit einem Mythos aufzuräumen, den es bis heute gibt: Ja, man kann Miesmuscheln auch in den Monaten von Mai bis August bedenkenlos essen. Der Mythos konnte ursprünglich so begründet werden: In den heißen Monaten wachsen Algen, die Hauptnahrungsquelle der Muscheln, schneller. Die Algen produzieren bei ihrem Wachstum marine Biotoxine, welche sich vermehrt in den Muscheln ansammeln können und zu einer (in seltenen Fällen sogar tödlichen) Muschelvergiftung führen können. Die Konzentrationen sind aber in aller Regel so niedrig, dass hier keine Gefahr besteht. Zudem werden die Muscheln regelmäßig kontrolliert und heutzutage fast ausschließlich in Frischmeerwasserbecken gezüchtet, in denen das Problem gar nicht erst entsteht.
Das größere Problem heutzutage ist, dass die Qualität der Miesmuscheln im Sommer häufig schlechter ist. Die Miesmuscheln laichen im Sommer und sind daher magerer und schmecken nicht so gut. Daher ist es umso wichtiger, hier auf Qualität zu setzen.
Mein Lieblingsrezept für Miesmuscheln in Weißwein-Tomatensud findet Ihr hier:
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